Perlenchef mit Zwirbelbart
Als es in Berlin Sintflut gab, war in Hamburg ein ganz normaler Regentag. Juli. Sommer 2017.
Ich hätte schon längst nach Hamburg gemusst, denn mein bester Freund ist dort seit April 2017 der „Perleninhaber“. Wir haben uns lange, wahrscheinlich zu lange, nicht gesehen. Doch Mario Tino, mittlerweile unter seinem vollen Namen Neumann agierend, ist immer noch der Alte: mit dem berüchtigten Zwirbelbart, den Hosenträgern und dem unerschütterlichen Glauben daran, was er tut. Ein begnadeter Fotograf, eine Laberbacke, aber auch ein Optimist wie kein anderer und ein Improvisationskünstler vom Feinsten.
Wie es normalerweise in irgendwelchen Filmen passieren kann, geschieht am Abend meiner Reservierung in der „Perle“ das Unerwartete. Der Koch ist verhindert, sein Ersatz ebenso. Wir haben natürlich Hunger und werden ungeduldig. Dann stellt sich Mario höchstpersönlich in die Küche, um uns zu bekochen: Es gibt Kalbschnitzel und rotes Curry mit Rind. Wunderbar schmeckt es. Später, als ich meinen Teller sauber geleckt habe und mit einem „Kosmopolit“, meiner neu entdeckten Rotwein-Liebe, abgedeckt bin, setzt sich Mario zu mir. Ich mustere ihn neugierig und zucke mein schickes Iphone 5s. Die alte Ksenia Lapina kommt zum Vorschein.
K: Na gut, Mario. Was machst du nun neuerdings?
M: Neuerdings habe ich ein Restaurant, die „Perle“. Zitiert: „So wie die zwei Hälften einer Muschel die Perle halten, so hält das, was in der Perle geschieht, Leib und Seele zusammen.“
K: Wie bist du eigentlich auf diesen Spruch gekommen?
M: Also, erstmal zum Namen. Den Namen gab es schon. Ich habe mir überlegt, dass es eine gute Idee wäre, den Namen zu behalten, damit Gäste, die die„Perle“ seit mittlerweile 5 Jahren kennen, auch in Zukunft die „Perle“ finden. Den Spruch hat sich der Vater meiner Freundin ausgedacht. Ich finde den gut.
K: Wie kommt es, dass du dich vom Fashionblogger zum Restaurant-Besitzer entwickelt hast?
M: Vor dreieinhalb Jahren wollte ich eigentlich mit der Gastronomie aufhören und mich um Fotografie, Grafik Design und Fashionjunk kümmern. Dann habe ich das Angebot bekommen, ein Restaurant in der Hafen-City zu eröffnen. Ich habe mir den Namen „Hafenhunger“, das Konzept und so weiter ausgedacht. Der Investor dieses Projekts hat sich und musste das Restaurant aufgeben. Allerdings wollte der neue Investor nicht mit mir zusammen arbeiten. Dann war nach einem halben Jahr Schluss für mich.
Nach dem „Hafenhunger“ wusste ich zuerst nicht, was ich machen wollte. Ich musste mich sammeln. Später habe ich als Restaurant-Leiter gearbeitet und habe mir überlegt, dass ich ein eigenes Restaurant haben möchte. Für mich ist es ein ganzheitliches Konzept. Das ist ja nicht nur einfach Kellnern, man arbeitet an allen Ecken. Man kann sich Weine aussuchen, man kann sich überlegen, was kommt auf die Speisekarte, man kann das Restaurant gestalten. Vor einem halben Jahr erfuhr ich, dass die damalige Besitzerin der „Perle“ aus persönlichen Gründen den Laden aufgeben möchte. So kommt es, dass ich das Gleis gewechselt habe und nun Gastronom bin.
K: Was ist das Besondere an Mario’s Perle?
M: Das Besondere…Wo soll ich anfangen? Ich habe hier auf der Karte nur Sachen, zu denen ich stehe. Ich habe nicht einfach mir irgendwelche Weine von einem Händler geben lassen, ich habe sie alle probiert. Ich habe ausgesuchte Produkte, ich weiß, warum ich diese Produkte verkaufe, ich kenne deren Geschichte. Genauso machen wir es hier bei den Speisen. Es wird alles frisch zubereitet. Ich habe im Laufe der Zeit eine eigene Vorstellung davon bekommen, wie die Wertschöpfungskette eines Restaurants aussehen soll: Wo kaufe ich die Produkte ein, bei welchem Händler, wie bereite ich die Speisen zu, wie präsentiere ich sie auf dem Teller und wie bringe ich sie dem Gast. Hier ist alles mit Liebe gemacht, mit Herz und Verstand und ich glaube, dass die Leute das spüren.
K: Was würde man denn in der „Perle“ an Mario von Fashionjunk wieder erkennen?
K: Zunächst wäre hier natürlich ich, persönlich. Fashionjunk hat mich geprägt. Ich glaube nicht, dass ich jemals modeaffin wäre, in diesem Look mit Fliege und Zwirbelbart, wenn es Fashionjunk nicht gäbe. Ja, so ein bisschen spiegelt sich mein Stil in der „Perle“ wieder. Sie ist nicht überladen, nicht zu verschnörkelt, sehr dezent, die Kleinigkeiten sind auf den Punkt gebracht. Man erkennt, dass ich mir Mühe gemacht habe: Bei den Lampen, bei der Einrichtung, bei der Tischgestaltung. Die „Perle“ hat Mario’s Signatur.
K: Was hat dich denn genau in der Fashionjunk-Zeit geprägt?
M: Neben der freundschaftlichen Beziehung, die ich zu Ksenia aufgebaut habe…
K: Das bin ja ich.
M: …sind wir mit unglaublich vielen verschiedenen Menschen in Kontakt gekommen. Man verliert die Berührungsangst, man lernt auf andere Menschen zuzugehen. Man lernt, offen zu sein, nicht so sehr in Schubladen zu denken. Es gab viel interessanten Input, man hat sich inspirieren lassen und das Ganze war etwas, wo man mit Herz dabei war. Es ging ja nicht nur darum, die Menschen auf der Straße zu fotografieren. Es ging darum mit Freunden treffen und über die Straße zu gehen, gemeinsam Zeit zu verbringen. Es war eine schöne Zeit, sie hat mich modisch geprägt. Und sie hat mich menschlich geprägt.
K: Gibt es denn Fashionjunk noch? Und wenn nicht, warum?
M: Zuerst fingen wir es als Hobby an, dann wollten wir es professioneller betreiben, haben auch ein bisschen Geld damit verdient. Dann sollte auch der Punkt kommen, dass es zur richtigen Arbeit würde. Zu dem Zeitpunkt hat das Interesse an Streetstyle-Blogs ein bisschen nachgelassen. Davor waren unsere Fotos waren in „Grazia“, im „Prinz-Magazin“ zu sehen, von Fashionjunk wurde in verschiedenen Medien berichtet. Das ist allmählich abgeebbt. Man hätte sich wahrscheinlich zu stark verändern müssen, um diesen Trend mitzugehen. Mittlerweile ist es ja so, dass viele Blogger Geschenke von großen Firmen bekommen und sich damit finanzieren oder Werbung auf Ihren Seiten schalten. Das kommt manchmal nicht authentisch rüber. Man hätte regelmäßiger nach Berlin zur Fashionweek fahren müssen, um sich zu verkleiden und dort eine Show abzuziehen. Ich glaube, dass wir nicht dauerhaft dazu Lust hatten. Dann ist jeder seinen Weg gegangen. Ich habe Gastronomie gemacht.
K: Hast du denn eine Frage an mich?
M: Ich bin gerade überrumpelt. Ich war nicht auf ein Interview vorbereitet. Wie denkst du denn an die Fashionjunk-Zeit zurück? Wie hat dich die Zeit geprägt?
K: Aaaaahhhh, es war eine wunderbare Zeit, sehr inspirierend! Ich vermisse sie sehr! Aber ich möchte es nicht so weiter machen, wie es vorher war. Das ist mir klar. In der Form, die wir es damals gemacht haben, ist das Projekt abgeschlossen. Und, ich glaube, das hatte nicht nur für uns beide Relevanz. Ich stelle mir vor, man stolpert in Hundert Jahren über das „Streetsyle Hamburg – Buch“ und sagt sich: „Ach, soooo waren die Menschen damals“. Wir kannten aber diese Menschen, wir haben eine kleine (oder größere) Geschichte zu jedem Gesicht, wir haben die unmittelbaren Eindrücke von ihnen mitgenommen. Es war toll, aber es muss was Neues kommen.
Mario scheint mit mir einverstanden zu sein. Wir gucken uns eine Weile verständnisvoll an und schwelgen in den glücklichen Erinnerungen.
Es geht also weiter, liebe Freunde. Für Mario in der „Perle“ – Hopfensack 26 – und für Ksenia im großen und wilden Berlin. Sobald es etwas zu berichten gibt, hört ihr von uns. Ahoi!